Tag 4: Auf Spuren des ungarischen Nationalbewusstseins
Ungarisches Nationalmuseum
Heute ist bereits der letzte Tag in Budapest, den ich schwerpunktmäßig der nationalen Identität Ungarns widmen wollte. Natürlich ist es schwer, dies alles in einem Tag abzuhandeln und ich bin sicherlich kein Geschichtslehrer, aber das ungarische Nationalmuseum (Magyar Nemzeti Múzeum) verspricht, einen ersten Eindruck zu geben.
Bereits gestern war ich von dem prachtvollen Gebäude überwältigt, heute kaufte ich mir eine Eintrittskarte für die gesamte Ausstellung. Das Museum schildert die Geschichte Ungarns angefangen von Siedlungen in der Bronzezeit bis hin zur Gegenwart. Zu jeder Epoche gibt es eine Vielzahl an Exponaten und insbesondere die Zeit zwischen der Staatsgründung im Jahr 1000 und der Unabhängigkeit von 1990 wird in feinen zeitlichen Abschnitten auf 20 Räume aufgeteilt. Auf diese Weise kann man beispielsweise die Einflüsse des Osmanischen Reiches und der Habsburger in der Veränderung von Details bei Gewändern, Waffen oder Einrichtungsgegenständen vergleichen. Diese strikte chronologische Sortierung ist vorteilhaft, um einen Gesamtüberblick zu erhalten, aber sie macht es für den Laien schwer, konkrete Unterschiede auszumachen.

Mir ist im Gedächtnis geblieben, dass auf dem Gebiet im frühen Mittelalter die Hunnen lebten und durch ihre zahlreichen Feldzüge zum Schrecken für die Bevölkerung in Italien und Deutschland wurden. Durch die Christianisierung und Anerkennung des Königs Stephan I. wurde daraus im Jahr 1000 ein fester Staat, der zwischen den Einflusssphären der Habsburger und der Osmanen drohte zerrieben zu werden. Im 16. Jahrhundert eroberten die Osmanen weite Teile Ungarns, wodurch es in drei Teile geteilt wurde und der Rest unter österreichische Kontrolle gelangte. Aus dieser Zeit stammen die berühmten türkischen Bäder in Buda.
Im 18. Jahrhundert wurde Ungarn österreichisch, teils mit erheblichen Spannungen zum Mutterland. Daran änderte sich bis zum ersten Weltkrieg wenig, nach dem durch den Versailler Vertrag Ungarn unabhängig wurde. Im Zweiten Weltkrieg unterstützte Ungarn das Dritte Reich (im Museum wird das eher als Zweckbündnis relativiert …), bevor es anschließend (unter sowjetischem Druck) kommunistisch wurde. Insofern entstand das moderne Nationalbewusstsein hauptsächlich im 19. Jahrhundert, zeitgleich zu den Nationalbewegungen anderer Staaten.

Die anderen Ausstellungen sind allesamt in Teilen des Museums untergebracht, die für sich schon wert sind besichtigt zu werden. Besonders spektakulär fand ich den Seuso-Schatz aus römischer Zeit. Er hat ein außerordentliches Gewicht von (ich meine) über 60 kg Silber, war lange Zeit im Besitz unrechtmäßiger Sammler und führte zu Gerichtsstreitigkeiten, da mehrere Staaten Anspruch erhoben. Erst 2017 wurden die 14 bereits zurückerlangten Stücke dem Nationalmuseum zur Verfügung gestellt.
Ungarisches Mittagessen
Kurz vor Abschluss meines ersten Besuchs in Ungarn wollte ich natürlich auch eine Kostprobe der regionalen Spezialitäten genießen. Im Restaurant Paprika Jancsi kochen die Köche gutbürgerliche ungarische Gerichte für ein vermutlich überwiegend touristisches Publikum. Erfreulicherweise ist die Speisekarte direkt mehrsprachig auch in deutsch und englisch, und es gibt sogar ein »Touristen-Menü« 😂 Ich entschied mich aber stattdessen für eine Rindergulaschsuppe als Vorspeise und einen ungarischen Schweinebraten Budapester Art als Hauptgang. Dazu Bier von Dreher, das nicht nur günstig war sondern auch charakterstark malzig geschmeckt hat. Empfehlung 🍻

Auch das Essen schmeckte mir sehr gut. Das Schweinefleisch nur fein mit Pfeffer/Salz gewürzt und mit wahrscheinlich selbstgemachten Kartoffelchips serviert. Die Portion war übrigens riesig!

Resümee zu Budapest
Nachmittags habe ich noch einen weiteren großen Spaziergang durch die Stadt gemacht und möchte für mich ein kleines Fazit ziehen. Budapest ist eine Stadt voller Kontraste, mit einigen neuen Insights für mich:
Budapest ist sehr westlich, denn
- Die Infrastruktur (Nahverkehr, Straßen, moderne Gebäude) ist nicht anders als in Westeuropa.
- Die Bezahlung mit Kreditkarte war in ausnahmslos allen Geschäften möglich, selbst auf einem Marktstand.
- In der Innenstadt gibt es alle westlichen Modelabels und andere große Ketten. Auch Rossmann, Aldi, Lidl und Obi sind in Ungarn nicht weit.
- Die Preise für Essen, Eintritte und Alltagsgegenstände erscheinen mir vergleichbar zu Deutschland, teilweise auch günstiger. Markenartikel westlicher Labels (insbesondere Mode) haben hier aber dieselben oder höhere Preise. Das ist bemerkenswert, weil das Einkommen der Einheimischen sicherlich immer noch niedriger als in Deutschland ist.
- Mit Englisch kommt man insgesamt gut durch.
Budapest ist aber immer noch einzigartig anders, möglicherweise bedingt durch die ehemalige Zugehörigkeit zum Ostblock, die ich mit eigenen Augen nie erlebt habe
- Man stolpert zunächst über Sprache (vollkommen unverständlich schriftlich wie mündlich) und Währung (1 Euro ergibt 400 Forint). Die Sprache wird man kaum erlernen und in Forint wird man direkt zum Millionär 🤑 (Ein böser Gedanke: dieser surreale Umrechnungskurs eignet sich hervorragend, damit der Tourist jegliches Preisgefühl verliert: 10 000 Ft, 20 000 Ft – alles egal? 🤔)
- Es gibt unzählige verfallene Gebäude, leere Geschäfte und unfertig wirkende Straßenabschnitte. Man sollte an einigen Orten immer schauen wo man hintritt.
- Die Spuren Österreichs aus dem 18. und 19. Jahrhundert sind deutlich erkennbar, geben in den Prachtstraßen einen Glanz. In den Außenbezirken sind die Häuser immer noch aus dieser Zeit, aber äußerlich gefühlt seit 100 Jahren unverändert.
- Es gibt sehr große, mehrspurige Straßen quasi im ganzen Stadtgebiet. Das Auto wird hier scheinbar großgeschrieben.
- Die Stadt ist überhäuft von unseriös anmutenden Wechselstuben und ATMs im Abstand von wenigen Metern.
- Man fühlt sich sicher und auch wieder nicht. Hier wird scheinbar einiges verbessert, denn es gibt sehr viele Überwachungskameras auf den Straßen und auch einige Polizeistreifen.
- Das jüdische Viertel hat seinen eigenen Charakter, den es auch trotz der Touristenmassen zu bewahren scheint. Die Wandgemälde finden sich an jeder Ecke und sind wunderschön, häufig auch politisch. Mehrere Begegnungen mit an der Kippa erkennbaren Juden, sowie jüdische Bäckereien und Restaurants (mit hebräischer Inschrift) lassen die Kultur hier glaubhaft erscheinen. Meine Liebe zu diesem Ort ist eine auf den zweiten Blick, aber eine authentische ❤️
