Tag 7 und 8: Eindrucksvolles Belgrad, Fahrt nach Tara
Belgrad

Schon ist die Zeit in Belgrad wieder vorbei und ich möchte wieder Bilanz ziehen. Während der Stopp in Serbien ganz am Anfang eher als ein notwendiger Zwischenstopp zwischen Budapest und Bosnien-Herzegowina geplant war, hat es sich nun zu einem lohnenswerten Ziel entwickelt. Gerade auch die Community, die ich im Hostel erlebte, wird mir noch länger in Erinnerung bleiben und hat Belgrad schon jetzt zu einem einmaligen Erlebnis.
Ich erlebe eine Stadt, die viel kommunistischer, Ostblock-artiger, Russland-freundlicher ist als Ungarn. Im Hostel treffe ich Digital Nomads, die seit Jahren aus allen Teilen der Welt arbeiten, Straßenmusiker, deren Planung nicht über ein paar Tage hinausreicht, und Reisende aus der ganzen Welt, die wochenlange Europa-Trips machen. Alle vereint ein sehr offenes Miteinander und auch wenn hier vollkommen unterschiedliche Lebensvorstellungen aufeinander treffen, scheint es irgendwie zu funktionieren. Ja, vielleicht kommt dein Mitbewohner im 6er-Zimmer heute um 4 Uhr morgens aus dem Club nach Hause, ja, vielleicht führt ein anderer jeden Morgen seine Meetings als Freelancer aus dem Aufenthaltsraum durch. Alles in allem, scheint es auch bei höchstens zufriedenstellender Sauberkeit in Bad und Küche irgendwie zu funktionieren. Ich treffe Leute, die mir für alles in der Welt, für jegliches noch so kuriose Reisevorhaben Tipps geben können, und vielleicht bin ich hier einer der langweiligsten Menschen in diesem Mikrokosmos 😂
Diese Menschen integrieren sich gut in eine Stadt, die ein sehr alternatives, dynamisches und gefühlt ziemlich unreguliertes Nachtleben hat. Mit einer Gruppe aus zwei Briten und einer Niederländerin war zwei Abende unterwegs, bevor die ersten beiden heute gestern weitergezogen sind. Von all den Bewohnern im Hostel bin ich aber gefühlt einer der wenigen, der morgens zeitig aufsteht um möglichst viel von der Stadt und nicht nur die Restaurants, Bars und Clubs zu erleben. Zu jeder Zeit findet man aber im Aufenthaltsraum aufgeschlossene junge Menschen, die immer für ein kleines Gespräch zu haben sind.
Gestern Abend waren wir zu viert in einem typisch jugoslawischen Restaurant. Das darf man tatsächlich wörtlich nehmen, denn das Kafana SFRJ (Кафана СФРЈ) ist eine einzige Remineszenz an vergangene Zeiten. SFRJ steht nämlich für »Socijalistička Federativna Republika Jugoslavija« und diese Fahne hängt hier hoch: Bilder aus vergangenen Zeiten, Mopeds, Dekoration und die natürlich die Musik dürfen nicht fehlen. Das Essen schmeckt ausgezeichnet und die Speisekarte bietet die typische Balkan-Auswahl ab. Im Lokal sieht man eigentlich nur Einheimische und diese kommen häufig auch erst am späten Abend. Geraucht wird übrigens in sämtlichen Gaststätten ohne Ende – fast jeder Zweite hat eine Kippe in der Hand. Das finde ich schon sehr unangenehm, aber ich wirke dem entgegen indem ich immer denselben stinkenden Pulli anziehe und mich möglichst in der Nähe eines Fensters positioniere.
Mir fällt aber auch sehr deutlich auf, dass die Serben auffällig gastfreundlich sind und auch die Ober in Restaurants sehr professionell arbeiten. Ich meine damit ein hohes Maß an Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse des Gastes und eine freundliche, hilfsbereite Grundhaltung. In Deutschland ist das zum Teil leider verloren gegangen und man muss für jeden Wunsch die Hand heben. An dieser Stelle möchte ich auch erwähnen, dass die Restaurant- und Lebensmittelpreise in Serbien erheblich niedriger sind als in Deutschland. Man kann hier für ± 15 € wirklich eine gute Mahlzeit erhalten und auch mit Vorspeise und mehreren Getränken kommt man kaum an die 25 . Heute bin ich in eine ländliche Gegend, die hauptsächlich von inländischen Touristen besucht wird, gefahren, wo die Preise nochmal viel niedriger sind als in Belgrad. Mehr zu der Fahrt im nächsten Abschnitt.

Gestern Morgen zum Beispiel bin ich zum Drohne fliegen losgezogen und konnte schöne Aufnahmen von der Altstadt aus Richtung des Save-Ufers machen. Dabei haben mich auch mehrere Einheimische aller Altersgruppen angesprochen und sich nach der Drohne erkundigt. Scheint hier etwas sehr Besonderes zu sein (und ein junger Mann war angesichts des Preises des Fluggerätes schockiert – das Einkommen ist hier einfach ein anderes). Mir viel auch auf, dass die Menschen hier sehr freundlich und positiv gestimmt wirkten, auch wenn das nur ein kleines Stimmungsbild war.

Nachmittags bin ich mit jemand anderem aus dem Hostel zum Dom des Heiligen Sava (Hram svetog Save), einer unfassbar großen orthodoxen Kathedrale gelaufen und war schwer beeindruckt. Das Bauwerk ist im traditionellen byzantinischen Stil errichtet und weit über Belgrad hinausstrahlen Es ist mit sehr viel Gold verziert und die Innenräume sind praktisch vollständig mit Gold-Mosaiken und Darstellungen von Heiligen verziert. Ich zähle die Kirche zu den eindrucksvollsten Sakralbauten die ich bereits gesehen habe. Sie wurde erst 2018 mit finanzieller Unterstützung Wladimir Putins fertiggestellt. Ein interessanter Artikel dazu auf Wikipedia.

Während ich durch Belgrad laufe, fallen mir immer wieder interessante Dinge auf. Zum Beispiel die Straßenbahnen, die irgendwie auch an alte Schweizer Bahnen erinnern. Oder so prunkvolle wie orientalisch anmutende Gebäude wie das bei Prominenten beliebte Hotel Moskva (Хотел Москва). Belgrad lädt definitiv zum Erkunden ein und hat an den unberührten Ecken auch noch viel an Subkultur und Street Art zu bieten. Ich wünsche mir sehr, dass dies nicht alles weiteren Waterfront-Projekten weichen muss.


Abends ist die Stadt vor allem an Wochenenden super lebendig. Das Ufer wunderbar erleuchtet und aus den Clubs dringen die wummernden Bässe.

Für mich sind nach wie vor einige Fragen der nationalen Identität Serbiens unklar. Ich habe mich gestern lange mit einem Mitarbeiter des Hostels über die Konfliktfragen der Politik Serbiens mit der EU, NATO, Russland und seinen Nachbarländern unterhalten. Mir geht es im Urlaub auch darum, ein Verständnis für die Unterschiede der Bosnier, Serben, Kroaten, Bewohner Montenegros und Kosovo-Albaner zu entwickeln. Denn Kultur, Sprache und Landschaft sind praktisch gleich, die Geschichte eng verwoben. Warum aber ist Serbien so russlandfreundlich? Nach bisherigem Stand hängt das viel mit dem Jugoslawien-Krieg und vor allem der Bombenangriffe der NATO zusammen. Diese Ereignisse sind hier sehr präsent und die NATO wird dabei als Feind gesehen, weil sie Serbien viel Leid zugefügt hat. Dass die Ursache aber in verschiedenen Kriegsverbrechen der Serben lag, ist eine westliche Interpretation die hier nicht akzeptiert wird. Es gibt scheinbar einen jährlichen Gedenktag, an dem explizit an die Gräuel durch die Amerikaner im Jugoslawienkrieg gedacht wird. Ich kann und möchte all dies hier nur so wiedergeben, da ich mich nie tiefergehend mit den Kriegsereignissen befasst habe. Es ist aber nicht erstaunlich, dass diese vor ca. 30 Jahren geschehenen Ereignisse auch für junge Menschen noch eine große Rolle spielen, da ein Großteil der Serben dies aktiv erleben musste.
Nationalpark Tara
Heute hieß es Belgrad Adé sagen und weiterfahren in den Tara-Nationalpark. Die Fahrt bestand aus einer mehrstündigen Strecke über baufällige Landstraßen, aber dafür gelangt man an einen Ort, der von westlichen Touristen praktisch unentdeckt ist. Die Idee kam mir von einigen coolen Bildern auf die den Berg umgebende Schlucht und durch die geographische Nähe zum nächsten Ziel, Sarajevo. Lange habe ich überlegt, ob ich mich so weit von Städten entfernt an einen Ort begeben möchte, der auf Google Maps maximal noch in kyrillischen Lettern bezeichnet wird. Nach einigen Erkundigungen in Belgrad habe ich aber ermittelt, dass das hier sehr wohl touristisch erschlossenes Gebiet ist. Ich habe mir ein Apartment in einem Ferienhaus gebucht und wurde unfassbar herzlich von der Eigentümerin empfangen. Da diese gar kein Deutsch oder Englisch spricht, konnte ihre Tochter für uns am Telefon übersetzen. Es hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen, wie sehr sich beide bemühen, einem ja auch nur kurz bleibenden Gast alles möglich zu machen und jegliche Hilfe zu leisten. Auf dem Tisch stand ein Glas Wasser, eine Karaffe Rakija und ein Schälchen selbstgekochtes Gelée, das man scheinbar so löffelt 😀
Bevor ich dann morgen die Natur erkunde und hoffentlich auch bisschen fliege, noch schnell ein Foto von meinem Abendessen im benachbarten Lokal. Wirklich lecker hier und sehr gute Qualität zu Preisen, die zum Erstaunen bringen.

