Inhalt

Tag 11 bis 13: Geschichte und Gegenwart in Sarajevo

Info
Jaa, ich liege mit meinen Berichten etwas zurück. Dies liegt auch an einem kleinen Autounfall gestern (03.05.) auf dem Weg nach Montenegro. Es ist nur ein Sachschaden, aber da ich so nicht die ganze Strecke weiterfahren kann, war ich gestern und heute viel mit der Behebung beschäftigt. Hier geht es in Kürze mit einem Bericht aus dem sommerlichen Kotor weiter ✍️

Sarajevo fand ich bereits zu Beginn meiner Planung ein interessantes Ziel. Es ist die Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina (BiH), dem verbliebenen Vielvölkerstaat Jugoslawiens. Wie mir jemand in Belgrad erklärte, sei BiH der einzige Staat den er nicht so richtig verstehe: Serben, Kroaten, Mazedonier, Montenegriner, Albaner haben alle ihre eigenen Staaten, die sich zum Teil ähnlich und zum Teil sehr unterschiedlich sind. Die Grenzen verlaufen zwischen Kulturen, Religionen und regionalen Dialekten. Allerdings leben in BiH nicht nur die bosnischen Muslime, sondern auch kroatische Katholiken und eine große Gruppe orthodox-christlicher Serben. Aus Differenzen über eine mangelnde politische Repräsentation der einzelnen Gruppen und seit Jahrhunderten anhaltenden Vorurteilen brach hier in den 1990er Jahren einer der blutigsten Bürgerkriege der neuere europäischen Geschichte aus, in dem unzählige Vertreibungen, Folter und Massaker an der Zivilbevölkerung verübt wurden. Durch die Zerwürfnisse zerfiel dann auch Jugoslawien in seine heutigen Nachfolgestaaten.

Mit diesem Hintergrund finde ich Sarajevo historisch interessant. Die Stadt wurde von 1992-1996 ganze 1425 Tage durch Truppen der nach Unabhängigkeit strebenden Serben in der Republik Srpska belagert, mit riesigen Kriegsschäden und hungernden Zivilisten. Gerne möchte ich mehr über die heutige Perspektive auf den Krieg herausfinden und wie die historischen Ereignisse sich auf die Gegenwart auswirken.

Nachdem ich mir für Serbien mehr Zeit nahm als ursprünglich geplant, musste ich meinen Aufenthalt in Sarajevo leider kürzen. Ich gewinne hier den Eindruck, dass man in der Stadt sicherlich 3-4 Tage verbringen kann, um dem Geist der Einheimischen auf die Spur zu kommen. Mein Besuch an ca. zwei Tagen hat mir trotzdem gut gefallen, um einen ersten Eindruck und Überblick zu bekommen.

rathaus.jpg
Das ehemalige Rathaus, genannt Vijećnica, ist eine der Sehenswürdigkeiten in Sarajevo.

Anreise und Hostel

Ein paar Worte möchte ich noch zu meinen Beobachtungen auf der Anfahrt nach Sarajevo verlieren. Während die Serben Geschwindigkeitsbeschränkungen eher als Empfehlung verstehen und gerne bei ausgeschilderten 40  60–80 km/h fahren (ich hatte mir dieses Fahrverhalten nach Tagen des Serpentinenfahrens abgeschaut 😏), sind die Bosnier da deutlich zurückhaltender. Das liegt auch an zahlreichen Radarkameras. Der allgemeine Straßenzustand in den östlichen Gebieten Bosniens ist aber wirklich nicht gut. Hier laufen nicht nur Menschen, Katzen und Hunde auf den Landstraßen, sondern es gibt auch massive Schlaglöcher, riesige Sträucher mitten auf der Fahrspur und Felsbrocken, über die man nicht fahren möchte. Mir ist auch aufgefallen, dass hier sehr viele Golf 1 und 2 umherfahren, man also quasi in einer Oldtimerlandschaft fährt. Auch der Gebäudezustand dieser sehr dünn besiedelten Gegend wirkt dürftiger als in Serbien.

strasse_bei_nacht.jpg
Die Straße an der das Hostel liegt führt im weiteren Verlauf steil nach oben. Blick von oben herab auf die Stadt (aus Nordrichtung).

In Sarajevo übernachte ich im Balkan Han Hostel, dass wunderbar zentral liegt. Kleiner Hinweis: Sarajevo ist sehr bergig, weshalb man bei vielen anderen Unterkünften einen sportlichen Fußmarsch aus der Stadt berücksichtigen sollte. Das Hostel ist auch wieder eines, in dem immer was los ist und abends kleine Events stattfinden. Es hat einen wunderschönen Garten und auch innendrin ist alles in sehr lebendigen Farben gestaltet. Auch Zimmer und Bäder sind sauber und gepflegt. Ich hatte sogar etwas Glück und bekam ein Doppelbett im Schlafsaal 😃 Im direkten Vergleich finde ich, dass ich im Hostel in Belgrad etwas mehr Gelegenheit für Ruhe hatte, während hier alles auf weniger Raum ist und vor allem eine der Mitarbeiterinnen mich ständig versuchte zur Teilnahme an irgendwelchen Aktivitäten zu überreden (mit Erfolg 😃). Insgesamt also eher erlebnisreich als entspannend.

Die Innenstadt

Ich habe von der Innenstadt nur einen kleinen Teil gesehen. Die Stadt zieht sich nämlich am Flussufer sehr lang, wovon ich mich eigentlich nur im Altstadt-Teil bewegt habe. Zwar war ich an Feiertagen dort (1. und 2. Mai), aber ich vermute mal hier ist es immer sehr voll. Besucher drängen sich durch die schmalen Gassen mit niedrigen Gebäuden, in denen Händler allerlei orientalische Produkte anbieten. Die osmanischen Einflüsse spürt man hier zwischen handgeknüpften Teppichen und türkischen Kaffee-Services aus Kupfer, Zinn, etc. sehr deutlich. Es gibt auch viele Parfümerien, Lederschmuck/Handtaschen-Geschäfte und Juweliere. Kulinarisch findet man nicht nur die »Balkan-Grills«, sondern auch türkische Speisen wie zum Beispiel Burek. Insgesamt weht ein rauchiger Grill-Duft durch das Viertel.

Info
In Sarajevo kann man häufig nur mit Bargeld bezahlen. Die Währung ist die »Konvertible Mark (KM)« deren Kurs mit 2 KM = 1 € fest an den Euro gekoppelt ist. Allerdings kostet jede Abhebung (bei sämtlichen Banken) mind. 5 € Gebühren, sodass man entweder einen großen Betrag abhebt, oder (besser) ausreichend Euro-Bargeld mitnimmt und entweder direkt damit bezahlt oder in einer der Wechselstuben umtauscht.

Ich fand es besonders schön, die vielen Handwerkermanufakturen zu besuchen, in denen beispielsweise die Tee-Services vor Ort gehämmert werden. Die Preise erscheinen mir auch in Ordnung, aber man sollte vermutlich die Qualitätsunterschiede beachten. Etwas skurril: Hier werden auch viele umgearbeitete Patronenhülsen verkauft, was ich als Souvenir doch zu makaber finde.

lavir.jpg
Etwas versteckt findet man in Sarajevo auch schöne kleine Läden abseits der Souvenir-Shops. Hier das Künstleratelier Lavir.

Bereits am Ende meines Besuches entdeckte ich auch eine kleine Gasse mit Künstlerateliers, die der Stadt für meinen Geschmack einen individuelleren Flair verleihen. In einem Atelier stellte ein junger Künstler aus meiner Sicht schön anzusehende Acrylgemälde mit verschiedenen Stadtansichten aus. Für wenig Geld konnte ich dort auch einen Print kaufen und mich mit ihm ein bisschen austauschen. Mir hat gefallen wie sehr er für seine Stadt brennt und scheinbar viel Freude an seiner Arbeit empfindet. Das war wieder ein kurzweiliges Erlebnis und wer mal in Sarajevo ist, dem empfehle ich bei Damir Avdić (Art Gallery Lavir) oder bei einem der benachbarten Ateliers einen Blick hineinzuschauen.

markt.jpg
Tagsüber ist der Markt überströmt von Touristen, aber das Getümmel sollte man trotzdem einmal erlebt haben. Hier und da gibt es auch schöne Läden, in die sich ein Blick lohnt.

Bob-Bahn und Wanderung auf den Berg Trebević

Wie bereits eingangs erwähnt, ist Sarajevo eine sehr bergige Stadt. Der Fluss Miljacka trennt die Stadt in einer Nord-Ost-Achse und beidseitig geht es davon ab steil aufwärts. Auf der Südseite liegt der Berg Trebević, welcher vielfältig genutzt wird. Durch eine Seilbahn (Baujahr 2018) ist er schnell aus der Stadt zu erreichen. Oben angekommen, kann man auf der Höhe wandern, Restaurants besuchen, im Winter Ski fahren und natürlich die Aussicht genießen.

seilbahn.jpg
Mit der Seilbahn lässt sich leicht ein schöner Blick über die Stadt genießen.

Um bei schönem Wetter etwas Sport zu machen, entschied ich mich den Berg aus eigener Kraft zu erwandern. Die Strecke ist durchgängig asphaltiert und verläuft meist sehr steil in Serpentinen den Berg hinauf. Man muss dabei einen Höhenunterschied von ca. 580 Metern überwinden, weshalb ich ganz gut ins Schwitzen kam.

bob_track.jpg
Die ehemalige Bobbahn, errichtet für die Olympischen Winterspiele 1984. Für die Stadt ist diese Blütezeit immer noch sehr bedeutend.

Auf einem Teil des Weges kann man über die ehemalige Bobbahn laufen, welche in Sarajevo für die Olympischen Winterspiele 1984 errichtet wurde. Ich finde sehr schade, wie diese dem Verfall überlassen wurde, inzwischen aber durch ihre unzähligen Graffitis von einer Betonruine zu einem Highlight der Street Art wurde. Die Bobbahn wurde während der Belagerung Sarajevos als Artilleriebasis zum Beschuss der Stadt genutzt und deswegen waren scheinbar diese Teile der Stadt nach Kriegsende stark vermint bzw. zerstört.

huegel.jpg

Am unteren Ende der Bobbahn befindet sich auch ein kleinerer Hügel, nahezu unerschlossen, mit einem schönen Blick über die Stadt. Davor stehen mehrere Ruinen, an denen man die Einschusslöcher aus dem Krieg deutlich erkennen kann. Obwohl Graffitis davon zeugen, dass Menschen auch diese Gebäude betreten, war es mir bei genauerem Blick auf die beschädigte Grundsubstanz zu unsicher dort hineinzugehen.

huegel2.jpg

Museum über Verbrechen gegen die Menschlichkeit/Sarajevo

Einen kleinen geschichtlichen Eindruck von den Kriegsereignissen versuchte ich im Museum über Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu gewinnen. Es ist nicht besonders groß und je nach eigenem Interesse sollte man 1-2 h mitbringen. Anders als der Titel suggeriert, geht es hier ausschließlich um die zivilen Opfer während des Bosnienkrieges 1992-1995 und das Leiden der in Sarajevo Ausharrenden. Hier werden die vielen kleinen Schicksale von Opfern des Krieges auf sehr persönliche Weise geschildert, mit einer Vielzahl and persönlichen Gegenständen. Teilweise kamen mir die Tränen, wenn hier Einzelschicksale Betroffenheit auslösen, weil man den Schmerz der namentlich genannten Opfer und Zeitzeugen nachvollzieht. Es beängstigt auch zu sehen, wie das ganze Land mit Massengräbern von den bei Exekutionen umgekommenen übersät ist. Das Museum nimmt die bosnische Seite stark in den Blick, aber den kroatischen und serbischen Opfern wurde hier wenig Platz eingeräumt. Auch wenn die wesentlichen Kriegsverbrechen von serbischen Separatisten verübt wurden, habe ich mir manchmal die Frage gestellt, welche wichtigen Ereignisse Wendepunkte in dem Krieg markierten und auch welche Kritik an bosnischer Seite zu üben wäre. Das Museum verurteilt die Kriegsverbrechen sehr deutlich, aber über diese wichtige politische Botschaft hinaus hätte ich mir eine bessere Analyse beider Seiten gewünscht. Vor allem die Beweggründe, warum diese Gräuel verübt wurden, sind hier aus meiner Sicht zu wenig erläutert worden.

museum_war_crime.jpg
Museum über Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Raum mit den Botschaften der Besucher.

Fazit

Ich bin mir an dieser Stelle nicht sicher, ob ich mir zum Land Bosnien-Herzegowina wirklich eine Meinung gebildet habe. Sarajevo steht hier vermutlich nicht pars pro toto und kleinere Städte wären mit Sicherheit auch einen Besuch wert. An der Stelle noch der Tipp, dass Mostar und vor allem die (Bahn)-Strecke aus Sarajevo dorthin sehr lohnenswert sein sollen.

In jedem Fall hat Sarajevo viel zu bieten. Da denke ich zum einen an die Shopping-Möglichkeiten und auch die Sehenswürdigkeiten, vor denen andere bestimmt mehr Fotos gemacht hätten 😆 Hierfür würde ich am besten 2 Tage einplanen. Dann kommt noch als Ziel der Berg Trebević in Betracht und vor allem das Wandern dort oben. Je nach Tageszeit kann man hier dem Getümmel gut entkommen. Die Beschäftigung mit der olympischen Vergangenheit der Stadt hat mir gut gefallen, allerdings habe ich entlang der Bobbahn keine weiteren Informationen dazu gefunden. Mich würde bei einem weiteren Besuch noch interessieren, welche Auswirkungen Olympia auf die jüngere Stadtgeschichte hatte. Drittens ist dann natürlich das Thema des Krieges und der Stadtbelagerung. Der Museumsbesuch war mitreißend und hat mir ein Gefühl gegeben, wie die heute so quirlige Stadt vor 30 Jahren zu einem Hexenkessel der Bevölkerung wurde. Inwiefern die Aufarbeitung dazu fortgeschritten ist, wäre eine weitere offene Frage. Zu guter Letzt hätte ich gerne noch den Blick in die Geschichte vor 110 Jahren gewagt und mich mit der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajevo beschäftigt. Es gibt hier das Museum »Muzej Sarajeva 1878–1918«, aber dies möchte ich gerne auf ein nächstes Mal verschieben. Dann ist hoffentlich auch Zeit für einen Besuch der neueren Stadtviertel. Also in einem Satz: Aus zwei Tagen Sarajevo kann man mit Sicherheit auch sieben machen!